Deutschland: ein digitaler Nachzügler?

Digitalisierung

Sie ist in aller Munde, soll unser Leben vereinfachen, neue Möglichkeiten eröffnen, Grenzen einreißen und Arbeit erleichtern: die Digitalisierung. In diesem Zusammenhang hört man immer wieder, dass Deutschland ein „hochentwickeltes“ Land ist – und somit auch ein Vorreiter auf dem Gebiet der Digitalisierung. Oder?

Nein! sagt Rüdiger Off, Forschungsleiter bei HighPots, der sich intensiv mit dem Thema befasst hat. Im Gegenteil: In Deutschland besteht seiner Meinung nach enormer Aufholbedarf.

Laut Rüdiger Off hinkt Deutschland vor allem den Entwicklungen und, fast noch wichtiger, deren Umsetzung im Technik-Mekka Silicon Valley in den USA nach. Dabei nimmt er Bezug auf den Digital-Innovation-Gipfel im Bundestag in Berlin und zitiert einen der Vortragenden mit folgenden Worten:

„Die Imitation eines Wirtschaftszweiges oder eines Wirtschaftssystems wie die des Silicon Valleys liegt nicht in der Kultur und Tradition von Europa oder Deutschland.“

Off bestätigt diese Aussage, indem er dem Leser Deutschlands „ökonomische Grenzen“ vor Auge führt:

Aus wirtschaftlicher Perspektive ist die europäische Art des Fortschrittsdenkens, das zeitintensive philosophische Abwägen über den Sinn gesellschafts-beeinflussender disruptiver Innovationen und die Schaffung von politischen und juristischen Rahmenbedingungen zur Einführung dieser, im Nachteil gegenüber der angelsächsischen oder chinesischen Innovationskultur.“

Zudem weist Off auf die Datenschutzverfehlungen hin, die in Deutschland mehr oder weniger unter den Teppich gekehrt werden, was eine denkbar schlechte Möglichkeit ist, mit diesem kritischen Thema umzugehen. Dabei steht sich Deutschland selbst im Weg, denn, so Zitat Off:

“ Darüber hinaus stehen dem Datenschutz stets die staatlich verordneten Hintertüren für den Zugriff der Exekutive im Wege, für die es auch in Europa starke politische Befürworter gibt.“

Doch ist Deutschland damit verloren – einfach im Sumpf der weltweiten Digitalisierung versunken und unrettbar verschwunden? Nicht zwangsläufig; auch hierzu hat Rüdiger Off eine überzeugende Expertenmeinung:

„Die Unternehmen in Deutschland werden mittelfristig keine Chance mehr haben, die Schnittstellen der Konsumenten zurückzuerobern. Sie werden weiterhin Milliarden Euro Marketingkosten an die Unternehmen im Silicon Valley zahlen, damit die Reklame die Konsumenten erreicht. Die Unternehmen im Silicon Valley werden dieses Geld dankbar annehmen, um einen Geschäftsbereich nach dem anderen zu erobern. Neue Standards in der M2M-Kommunikation innerhalb von Industrie 4.0 in die Welt zu tragen, wird die letzte große Chance für Deutschlands Unternehmen sein.“

Handeln ist also die Devise – die Zeit des Abwartens muss vorbei sein, Deutschland muss Mut beweisen, die Initiative ergreifen. Eine wichtige Änderung müsste dabei auf dem Arbeitsmarkt stattfinden, denn, wie Off erklärt, Deutschland ist in Sachen Fachkräfte eher ein „Auswanderungsland“, während das Silicon Valley von seinem Kulturmix und seinen extrem gut ausgebildeten Mitarbeitern profitiert.

Welche weiteren Gründe gibt es neben den qualifizierten Fachkräften für die scheinbare unschlagbare Führung des Silicon Valley im Gegensatz zu Deutschland? Hier holt Off etwas weiter aus und geht auf mehrere Details ein:

„Es sind zwei Bereiche, die von Microsoft, Apple, Facebook, Google und Amazon dominiert werden. Zum einen die bereits erwähnte Dominanz bei der Verbreitung der Schnittstellen zu Konsumenten (Desktop-PC’s, Laptops, Smartphones, Wearables, etc.) und zum anderen das darauf zurückzuführende überlegene Daten-Know-how; in der Erzeugung, Erfassung, Speicherung, Suche, Verteilung, Analyse und Visualisierung von Massendaten aus unterschiedlichen Datenquellen sind die angelsächsischen Unternehmen allen anderen Unternehmen Jahre voraus. Die Dominanz im Big Data-Segment, dazu zählen auch künstliche neuronale Netze (KNNs) die hinter Cortana, Siri, Google Now und vielen anderen Social Bots arbeiten, ist heutzutage der wesentliche Vorteil schlechthin.“

Diese Anbieter und Produkte sind in Deutschland nach wie vor dominant; ein Fakt, an dem sich nichts ändern wird, solange die deutsche Wirtschaft nicht handelt. Sicher ist, dass auch wir nicht an der Digitalisierung vorbeischrammen können, denn, wie Off betont, „Alle Produkte und Services werden weltweit immer IT-lastiger und mobiler, und das nicht bloß in B2C-Geschäftsfeldern.“

Fazit ist: Deutschland rennt in Sachen Digitalisierung Vorreitern wie dem Silicon Valley hinterher und schafft es bisher nicht, diese einzuholen. Unmöglich wäre es nicht, wie aus Offs Text ersichtlich wird, doch der Weg ist lang, steinig und erfordert zahlreiche Veränderungen auf verschiedenen Gebieten.

Wer sich tiefer in das Thema einlesen möchte, findet den vollständigen Text von Rüdiger Off, der den hier genannten Zitaten zugrunde liegt, unter dem Titel „Unternehmen verlieren Kampf um Marketingkanäle zu Konsumenten“ auf dem Blog www.highpots.de.

Foto: © vege/fotolia.com

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